Erforderlichkeit der Aufklärung über seltene Risiken im Vorfeld einer zahnärztlichen Behandlung

Eine zahnärztliche Behandlung erfordert vor einem Eingriff auch die Aufklärung über seltene Risiken, wenn es sich um typische Risiken des Eingriffs handelt, die die Lebensführung schwer belasten können.

Dies gilt umso mehr, wenn ein Eingriff maßgeblich kosmetische Zwecke verfolgt.

In dem zugrundeliegenden Fall wurden bei einer Patientin die Frontzähne des Oberkiefers mit sog. Veneers (Keramikverblendschalen im Frontzahnbereich) behandelt. Nach der Behandlung kam es bei der Klägerin zu einer dauerhaften thermischen Empfindlichkeit der Zähne und einer Pulpitis (Zahnmarkentzündung mit der Möglichkeit des Eintritts der Ausbildung eines Abszesses). Die Klägerin verlangte daraufhin Schmerzensgeld aufgrund einer ihrer Ansicht nach fehlerhaften Behandlung, weil der Zahnarzt zu viel Zahnsubstanz weggenommen haben soll, wodurch die Veneers die Größe von Teilkronen erreicht haben.

Das Geicht entschied, dass nicht schon ein Behandlungsfehler aufgrund der Größe der Veneers vorliegt, mithin handelt es sich bei Keramikverblendungen im Frontzahnbereich definitionsgemäß um Venners, während es sich bei einer selbigen Behandlung im Backenzahnbereich um Teilkronen handelt.
Jedoch sah das OLG Hamm einen Aufklärungsfehler in dem Umstand, dass die Patientin im Vorfeld der Behandlung nicht über das Risiko einer Pulpitis aufgeklärt wurde. Insbesondere handelt es sich bei dem Eintritt einer Pulpitis um ein typischerweise mit einer Beschleifung von Zähnen einhergehendes Risiko, über welches auch aufgeklärt werden muss, wenn es äußerst selten vorkommt. Demnach ist grade bei kosmetischen Behandlungen ein erhöhter Maßstab bezüglich der Aufklärung über den Eintritts seltener Risiken anzulegen, mithin sind solche Eingriffe nicht notwendig oder eilbedürftig, so dass dem Patienten eine intensive Beschäftigung mit der Abwägung ermöglicht werden soll, ob er die Risiken des Eingriffs trotz mangelnder Erforderlichkeit auf sich nehmen will.

Unter Berücksichtigung der dauerhaften und teils hochgradigen Empfindlichkeit der Zähne, einem drohenden Zahnverlust der Frontzähne, sowie der zweimaligen Ausbildung von schmerzhaften Abszessen, die eine weitere zahnärztliche Behandlung nach sich zogen, sprach das Gericht der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 8000 Euro zu.
 
Oberlandesgericht Hamm, Urteil OLG Hamm I-3 U 205 10 vom 30.05.2011
Normen: BGB §§ 253, 280, 611, 823
[bns]